#IndustrieGefragt: Drei Fragen an ATLAS
„Ländlich-industrialisierte Regionen folgen einer eigenen Transformationslogik.“
Dr. Muhamed Kudic (Projektleiter) und Marc Gerbracht (stellvertretender Projektleiter) wollen die Automobilzulieferindustrie in Südwestfalen auf ihrem Weg in die Zukunft der Mobilität unterstützen. Das Projekt Automotive Transformations-Plattform Südwestfalen, kurz ATLAS, verfolgt das Ziel, gemeinsam mit allen beteiligten Akteuren ganzheitliche Lösungen zu entwickeln, um die Branche auch in Zukunft wettbewerbsfähig aufzustellen und in der Region zu halten.
Vor welchen Herausforderungen steht die Automobilbranche in Südwestfalen in den nächsten Jahren?
Südwestfalen ist eine ländlich-industrialisierte Region, die sich in vielerlei Hinsicht von Metropolregionen unterscheidet. Aufgrund der geographischen Topologie der Region – mit Siegen als Oberzentrum und der ländlich geprägten Peripherie – sowie der für die Region charakteristischen Wirtschaftsstruktur ergeben sich spezifische Herausforderungen der Digitalisierung und Transformation. Dies spiegelt sich bspw. an Infrastruktur- und Mobilitätsfragen wider. Auch Herausforderungen lokal ansässiger Unternehmen mit Blick auf logistische Problemstellungen entlang der Lieferkette gestalten sich in ländlichen Regionen anders als in Metropolregionen. Die Region ist zudem in besonderem Maße vom demographischen Wandel betroffen. Südwestfälischen Unternehmen fällt es zunehmend schwerer, Fachkräfte aus Ballungszentren anzuwerben und langfristig in der Region zu halten.
Gleichzeitig hat die Region ein reichhaltiges Potenzial an gut aufgestellten kleinen und mittelständischen Unternehmen. Vor allem die metallverarbeitende Industrie ist historisch stark verwurzelt. Südwestfalen beheimatet viele Hidden Champions, die qualitativ erstklassige Produkte herstellen und diese auf nationalen und internationalen Nischenmärkten erfolgreich platzieren. Die Erfolge der letzten Jahre beruhen nicht zuletzt auf gut ausgebildeten Fachkräften, die es bei der digitalen und nachhaltigen Transformation durch passgenaue qualifikatorische Maßnahmen mitzunehmen gilt. Gerade vor dem Hintergrund neuer Antriebstechnologien, jenseits des Verbrennungsmotors, steht die Region unter erhöhtem Transformationsdruck. Kurzum, Unternehmen werden über kurz oder lang neue Geschäftsmodelle erschließen müssen. Diese Herausforderungen werden die lokal ansässigen Unternehmen nur in engem Schulterschluss und gemeinsam mit der Belegschaft meistern können.
Welche Zielsetzung verfolgt ATLAS in Sachen Transformation?
In Südwestfalen gibt es viele Zulieferbetriebe, die an die Automobilindustrie angegliedert sind. Die Automobilindustrie ist jedoch gerade dabei, sich neu zu erfinden und sich weg vom Verbrennungsmotor zu elektrifizieren. Diese Unternehmen will ATLAS adressieren. Ziel ist es, ihnen Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sie neue digitale Geschäftsmodelle nutzen können, um ihr Angebot und ihr Dienstleistungsportfolio zu erweitern. Dabei fokussiert sich ATLAS nicht nur auf diejenigen Unternehmen, die bereits Teil der Automobilzuliefererindustrie sind, sondern hat auch jene im Blick, die sich aktuell noch in angrenzenden Feldern wie z. B. der Elektrobranche bewegen. Unternehmen, die bisher einen Schwerpunkt im Automotive-Bereich hatten, können sich auch erfolgreich in andere, benachbarte Branchen hineinentwickeln. Ein anschauliches Beispiel sind Betriebe, die sich bisher auf die Herstellung von Getriebekomponenten oder schall- bzw. wärmeabschirmenden Elementen in Verbrennern spezialisiert haben und ihr Know-how zukünftig für die Erschließung neuer Kunden und Absatzmärkte einsetzen können. Hier setzt ATLAS mit einem breit gefächerten Unterstützungsangebot an, das im Wesentlichen auf zwei Säulen aufsetzt: Zum einen unterstützt ATLAS diese Unternehmen bei der Entwicklung neuer zukunftsfähiger Geschäftsmodelle. Zum anderen bezieht ATLAS die Belegschaft aktiv in den Prozess mit ein und stößt Qualifizierungsmaßnahmen an.
Das ATLAS Angebots- und Unterstützungsportfolio ist so konzipiert, dass die angewandten Instrumente und Transformationsprozesse im Betrieb gleichzeitig auch mindestens eine der drei Nachhaltigkeitsdimensionen – sozial, ökologisch und ökonomisch – mit adressiert. ATLAS versteht sich als mitarbeiterzentriert, da neue Zukunftspfade von Unternehmen insbesondere auch von der Belegschaft mitgetragen werden müssen. Ferner werden auch weitere Stakeholder konsequent mit eingebunden. Diese Positionierung stellt ein zusätzliches Alleinstellungsmerkmal von ATLAS dar. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass ATLAS den Wandel der südwestfälischen Automobilzulieferindustrie mit möglichst praxisnahen Angeboten mitarbeiterzentriert, sozialpartnerschaftlich, partizipativ und technologieoffen mitgestalten möchte.
Wie hilft ATLAS den Unternehmen konkret bei der Transformation?
Unternehmen haben im täglichen Geschäft oft wenig Zeit, um sich mit der Transformation zu beschäftigen und sich explorativ zu betätigen. ATLAS will sie dabei unterstützen und sie im wahrsten Sinne des Wortes an die Transformation heranführen. Beispielsweise baut ATLAS derzeit sogenannte Innovationsexplorationsräume auf, bei denen es darum geht, Akteure aus unterschiedlichen Bereichen – Wirtschaft, Wissenschaft, Gesellschaft und Gründerszene – zusammenzubringen.
In einem der Innovationsexplorationsräume wird eine Datenökonomie simuliert. Geräte wie bspw. Drehmaschinen, Roboterarme u. v. m. werden mit Sensorik ausgestattet, um Daten zu sammeln und nutzbar zu machen. Auch Datenflüsse entlang von Inhouse-Logistikketten können nachempfunden werden. Natürlich werden in diesem Zusammenhang auch Fragen der Datensicherheit adressiert. Durch die Simulation können die Mitarbeitenden den theoretischen Begriff der Transformation praktischer greifen und neue Ideen für künftige Produktionsschritte und Arbeitsabläufe entwickeln.
Perspektivisch sollen mehrere, inhaltlich komplementär aufgestellte Innovationsexplorationsräume in Südwestfalen aufgebaut und miteinander vernetzt werden. In diesen Innovationsexplorationsräumen sollen Geschäftsführende, Abteilungsleitende, Shopfloor Mitarbeitende, Gründende aus der Region, Academia und andere Multiplikatoren eine Reihe bedarfsorientiert ausgewählter Themen gemeinsam bearbeiten. Mithilfe von digitalen Technologien – wie bspw. 3D-Druckern und Virtual bzw. Augmented Reality Brillen – sollen in einer vorwettbewerblichen Phase neue kreative Ideen entstehen, die das Potenzial für neue Geschäftsmodelle bieten. Die Vision dabei ist, Altes zu hinterfragen und „out of the box“ zu denken. Nicht alle erarbeiteten Ideen führen dabei zu neuen Produkten oder Dienstleistungen, jedoch reicht ja oftmals eine gute Idee um Großes anzustoßen.
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Kontakt:
Dr. Muhamed Kudic
Projektleiter
Marc Gerbracht
Stellvertretender Projektleiter
Automotive Transformations-Plattform Südwestfalen (ATLAS)
E-Mail: muhamed.kudic@socio-informatics.de
Web: ATLAS – Automotive Transformationsplattform (atlas-swf.de)