#IndustrieGefragt: Drei Fragen an Dr. Jörg Buisset
„Wir gehören zu den Hauptstädten in Europa, die als erste eine dezidierte Wasserstoffinfrastruktur haben werden.“
Dr. Jörg Buisset ist Vorstandsvorsitzender von H2Berlin e. V. und Geschäftsführer der Sustainable Hydrogen GmbH. H2Berlin verfolgt das Ziel, eine Wasserstoffwirtschaft in Berlin zu entwickeln und zu skalieren. Diese soll dazu beitragen, die Emissionen von CO2 zu reduzieren und die Klimaziele der Hauptstadt zu erreichen. Die Initiative fördert die öffentliche Diskussion und verfügt über ein regionales Netzwerk von Unternehmen, wissenschaftlichen Einrichtungen und anderen Institutionen rund um Wasserstoff und Brennstoffzellen. Drei Wasserstoffhubs sollen als Keimzellen für eine flächendeckende Einführung des Energieträgers Wasserstoffs wirken. Wir haben mit Dr. Jörg Buisset über die Potenziale von Wasserstoff in Berlin, die länderübergreifende Zusammenarbeit und die Wasserstoffhubs gesprochen.
Potenziale: Berlin und Wasserstoff (H2) – was passiert hier?
Zunächst verfügt Berlin nicht über das Potenzial, energieautark zu sein. Daher ist ein massiver Import von Energie ein Muss. Noch setzt das Land auf fossile Energien, doch jetzt ist die schnelle Umstellung auf erneuerbare Energien gefragt. Geothermie ist eine Möglichkeit, Solarenergie eine andere. Im Winter verbraucht die Stadt sehr viel Energie, die in den dunklen Monaten beispielsweise durch Solarenergie nicht abgedeckt werden kann, deshalb braucht sie mehr Speicher. Das ist nicht nur für Privathaushalte wichtig, sondern auch für die Wirtschaft. Wasserstoff ist über die Jahreszeiten hinweg das beste Speichermedium. Wasserstoff muss allerdings überregional importiert werden, Brandenburg fällt als Versorger durch seinen Eigenbedarf an H2 weg. Berlin ist noch Teil der ehemaligen sowjetischen Gasinfrastruktur. Diese gute Anbindung an aus Osteuropa und Südosteuropa könnte für Wasserstoffimporte aus Ländern mit günstiger erneuerbarer Energie umgewidmet werden. Darüber hinaus ist Berlin die größte deutsche Metropole, in der neue Entwicklungen rund um die Wasserstoffwirtschaft skaliert werden können. Hier besteht ein strategischer Vorteil für die Stadt. Wir gehören zu den Hauptstädten in Europa, die als erste eine dezidierte Wasserstoffinfrastruktur haben werden. Hierfür stehen EU-Mittel zur Verfügung, diese müssen bis 2028 abgerufen sein. Last but not least: Berlin verfügt über das größte Fernwärmenetz in Deutschland, das zügig dekarbonisiert werden soll, sowie über eine vorteilhafte Gasinfrastruktur, die auf kostengünstigen Wasserstoff umgestellt werden kann. Die Versorger arbeiten bereits an Plänen, welche Infrastruktur wie umgenutzt werden kann. Zum Hintergrund: Berlin verbraucht rund 70 Terawattstunden pro Jahr, also 70 Milliarden Kilowattstunden. Das sind mehrere hundert Stahlwerke.
Wissenstransfer: Wie sieht die länderübergreifende Zusammenarbeit aus?
Zum einen gibt es den Wasserstoffmarktplatz. Im Auftrag der Länder Brandenburg und Berlin hat das Unternehmen Localiser eine Software entwickelt, die Angebot und Nachfrage in Hinblick auf Wasserstoff koordiniert. In Berlin stammen 90 Prozent der Marktplatzeinträge von H2Berlin und seinen Mitgliedern. Darüber hinaus gehören zwei Leuchtturmprojekte zu unseren Meilensteinen 2022. Mit ihnen sollen bis 2025 9.000 Tonnen Wasserstoff in Umlauf gebracht werden, so am Flughafen BER, deren Anteile auf Brandenburg, Berlin und dem Bund verteilt sind. Über Brandenburg hinaus gibt es auch weitere Zusammenarbeit mit H2Süd, HyCologne und Hamburg. In Hinblick auf Zero Waste passiert auch viel: Rohstoffe können aus Abfall zurückgewonnen werden, wenn er nicht verbrannt wird. Das Projekt der Neue Energien Premnitz entsorgt bspw. Windräder, indem diese bei sehr hohen Temperaturen in einen gasförmigen Zustand gebracht werden. Das Verfahren erlaubt beim Abkühlprozess, dass die einzelnen Rohstoffe aus dem Müll separiert werden können. Darunter auch H2, das bei dieser Art von Sondermüll im erheblichen Maße vorhanden ist. Zudem kann auch Kohlenstoff extrahiert werden. Werden Biogene Abfälle verwendet entsteht eine CO2-Senke – CO2 wird nicht nur vermieden sondern zusätzlich aus dem natürlichen Kreislauf entzogen. Weiterhin lassen sich bei dem Verfahren Schadstoffe leichter herausfiltern als bei Müllverbrennung. H2Berlin untersucht mit seinem Mitglied Neue Energien Premnitz wie diese Lösung in Berlin eingesetzt werden kann.
H2Berlin-Hubs: Was können Sie uns dazu erzählen?
Die Idee der Hubs entsprang den Ergebnissen einer Studie, die H2Berlin vor seiner Gründung durchgeführt hat. In der Studie ermittelten wir den Wasserstoffbedarf in Berlin für das Jahr 2025: 9.000 Tonnen. Die H2Berlin-Hubs verfolgen das Ziel, die Wasserstoffwirtschaft anzukurbeln. Aktuell bestehen drei Hubs: Reuter West/Ruhleben, Marzahn und der BER. Am BER verursacht beispielsweise die Gebäudeversorgung neben den Flugzeugen die größten Emissionen. Diese muss schnell dekarbonisiert werden. Eine H2-Tankstelle existiert bereits und muss nur noch erweitert werden, um die Flughafenlogistik auf dem Feld und vor dem Feld klimaverträglich zu machen. Der Flughafen verfügt über 90 Hektar Freifläche, die mit Solarpaneelen bestückt werden sollen. Ein angeschlossener Elektrolyseur wird den Überschuss an Energie in Wasserstoff umwandeln, damit diese bei Bedarf sowohl im Verkehr wie auch für die Gebäudeversorgung bereitgestellt werden kann. Reuter West/Ruhleben ist das Energiedreieck Berlins mit dem größten Kraftwerk (1,3 GW Power & Heat), der Müllverbrennung Berlins von ca. 1Mio. t Hausmüll und dem Klärwerk der Wasserbetriebe. Hier soll ein Elektrolyseur gebaut werden. In Zeiten eines Überschusses an erneuerbaren Energien soll der Strom in Wasserstoff umgewandelt werden, anstatt Windräder abzustellen. Die Wirtschaftlichkeit des Elektrolyseurs wird erreicht, indem die Abwärme ins Fernwärmenetz geführt wird. Der Sauerstoff, der bei der H2-Produktion anfällt, soll den Berliner Klärwerken zur Verfügung gestellt werden. Sie stellen daraus Ozon zur Abwasserreinigung her. Der Wasserstoff wiederum soll in den Verkehr gebracht werden. Die Berliner Stadtreinigung hat heute schon Müllsammelfahrzeuge, die mit Wasserstoffantrieb funktionieren. Solche Fahrzeuge wollen auch die Berliner Wasserbetriebe anschaffen – ein Feuerwehrboot und ein Personenschiff sollen an dem Standort die H2-Abnahme im Verkehr ergänzen. Das Kanalschubboot Elektra, das über einen Wasserstoffantrieb verfügt, gibt es bereits. Die geplante Tankstelle wird auch H2 für den öffentlichen Verkehr bereitstellen. Das Motoradwerk BMW möchte den produzierten Wasserstoff für die Flurförderzeuge in seinem Werk einsetzen und das neu geplante Quartier Gartenfeld könnte den Wasserstoff für sein BHKW verwenden. Die CO2-Einsparung wird durch H2Berlin für die Leuchtturmprojekte beziffert. Die Erwartung ist, dass die Projekte von H2Berlin das CO2-Einsparungspotenzial vieler anderer klimafreundlicher Projekte deutlich übersteigen werden.
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Kontakt:
Dr. Jörg Buisset
Geschäftsführer
H2Berlin e. V.
Wilhelm-Kabus-Str. 24, 10829 Berlin
E-Mail: joerg.buisset@h2berlin.org
Web: h2berlin.org