#IndustrieGefragt: Drei Fragen an Ulrich Misgeld
„Ein guter Industriestandort ist smart, vernetzt und mit einem attraktiven Image verbunden. Er steht in guter Nachbarschaft mit seinem Umfeld und existiert mit seiner Umwelt.“
Ulrich Misgeld ist erster Vorsitzender des UnternehmensNetzwerks Motzener Straße e. V., das seit 2005 besteht und sich aus Unternehmen des Industriegebiets rund um die Motzener Straße in Berlin zusammensetzt. Neben rein produzierendem Gewerbe befinden sich dort auch Unternehmen, die Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten betreiben. Im Interview sprechen wir mit Ulrich Misgeld über traditionelle Industrie, gute Industriestandorte und nachhaltige Gewerbegebiete.
Herr Misgeld, wie sieht die Zukunftsperspektive der traditionellen Industrie aus? Und: Was ist überhaupt „traditionelle Industrie“?
Den Begriff „klassische Industrie“ finde ich treffender. Bei der klassischen Industrie steht die Fertigung im Mittelpunkt, vermehrt finden sich hier auch Systeme und Zusatzleistungen, die die Produkte über ihre Lebenszeit hinweg begleiten. Zu unserem Netzwerk gehören viele Zulieferbetriebe, die sich im internationalen Wettbewerb behaupten. Um in der Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben, gestalten die KMU aktiv den digitalen Wandel. Ich blicke positiv in die Zukunft, denn sie werden die mit der Transformation verbundenen Herausforderungen und Chancen bewältigen und gut nutzen.
Was macht für Sie einen guten Industriestandort aus?
Für mich ist ein guter Industriestandort smart, vernetzt und mit einem attraktiven Image verbunden. Er steht in guter Nachbarschaft mit seinem Umfeld und muss auch mit seiner Umwelt existieren. Diesen Ansatz verfolgen wir seit Bestehen in unserem Netzwerk: Die Firmen arbeiten miteinander, betreiben gemeinsame Akquisition von Auszubildenden und behalten auch Weiterbildungsmöglichkeiten gemeinsam im Blick. Der lokale Erfahrungsaustausch, z. B. in Arbeitskreisen, aber auch über die gemeinsame Website, stärkt den Zusammenhalt. Zudem gibt es für unseren Industriestandort in der Motzener Straße ein gemeinsames Management; das kennt man sonst eher von größeren Industrieparks. Ein Zusammenschluss von Unternehmen muss nicht aus einer Branche bestehen, da diese oft im Wettbewerb zueinanderstehen. In einem stark differenzierten Industriestandort arbeiten alle an gemeinsamen Interessen und ziehen an einem Strang.
Nachhaltiges Industrie- und Gewerbegebiet: Was bewegt sich in diesem Bereich? Wie sieht es mit Pilotprojekten aus?
Seit 2010 besteht das Projekt „Null Emissionen“ an unserem Industriestandort: bis 2050 wollen wir CO2-neutral werden. Zwar haben die Unternehmen seit Projektbeginn in erneuerbare Energien investiert. Einen deutlichen Schub erhielt das Nachhaltigkeitsengagement allerdings durch das 2015 für das Industriegebiet erstellte Klimaschutzkonzept. Dort wurden betriebsübergreifende Maßnahmen festgehalten, die wir nun nach und nach verfolgen. Gemeinsam mit 15 Unternehmen im Netzwerk haben wir jetzt das „Grüne Kraftwerk“ in Betrieb gesetzt. Hier sind die Erzeugungsanlagen von erneuerbaren Energien digital vernetzt und die Leistungsdaten können in Echtzeit auf einer Website abgerufen werden. Allein in den letzten vier Monaten konnten die beteiligten Firmen 500.000 Kilo CO2 einsparen. Im Durchschnitt können die Unternehmen 43 % ihrer Energiebedarfe aus erneuerbaren Energien decken. Es gibt bereits Unternehmen im Netzwerk, die ihren Bedarf bereits zu 100 % aus erneuerbaren Energien decken. Einige Unternehmen haben einen sehr hohen Energiebedarf, z. B. Kunststoffspritzereien, die werden nicht auf 100 % umstellen können. Wir nutzen allerdings noch keine Windkraft, weitere Anstrengungen sind natürlich immer möglich.
Es ist wichtig, die einzelnen Aktivitäten der Firmen im Bereich Umwelt und Nachhaltigkeit zusammenzutragen und aufzuzeigen, wie sich der Industriestandort in diesen Bereichen engagiert. Das erhöht die Akzeptanz für Industrie in der Stadt und die Attraktivität für junge Menschen, die sich nachhaltige und zukunftsträchtige Aufgaben wünschen.
Hier erfahren Sie mehr über das „Grüne Kraftwerk“.
_________________________________________________________
Kontakt zu Ulrich Misgeld des UnternehmensNetzwerks Motzener Straße e. V.
E-Mail: misgeld@aprilstiftung.de