
Veranstaltung Wasserstoff für den Mittelstand – Praxisbeispiele aus der energieintensiven Industrie
Der Mittelstand kann und muss eine bedeutende Rolle beim Markthochlauf von Wasserstoff spielen. Das war die zentrale Botschaft der Veranstaltung am 5. Oktober. Mehr als 100 Teilnehmende aus Unternehmen, aus der lokalen, Landes- und Bundespolitik sowie aus verschiedenen Wirtschaftsinstitutionen folgten der Einladung der Service- und Beratungsstelle für regionale Industrieinitiativen, der Unternehmensinitiative Klimahafen Gelsenkirchen, der IHK Nord Westfalen und der nordwestfälischen Industrieinitiative In|du|strie – Gemeinsam.Zukunft.Leben. in das ZINQ Futurium in Gelsenkirchen.
Einblicke in ein energieintensives Unternehmen
Vor der Veranstaltung öffnete das Unternehmen ZINQ seine Tore für eine Unternehmensführung. ZINQ verarbeitet an 50 Standorten in Deutschland, den Benelux-Ländern, Frankreich und Polen jährlich 650.000 Tonnen Stahl und schützt ihn vor Korrosion durch Feuerverzinken und Beschichten. Für diesen Prozess wird Zink auf über 400 Grad Celsius erhitzt. Als Energieträger dient aktuell in erster Linie Erdgas, das perspektivisch durch grünen Wasserstoff ersetzt werden soll. Gemeinsam mit 17 Unternehmen im Stadthafen Gelsenkirchen will ZINQ in der Initiative Klimahafen Gelsenkirchen so schnell wie möglich klimaneutral produzieren.

Stahlteile nach einer Tauchung in über 400 °C heißem Zink © Hansen_DIHK
Planspiel 2032 – Wie der Klimahafen mit Wasserstoff versorgt wird
Sofie Geisel von der Deutschen Industrie- und Handelskammer lud die Teilnehmenden ein, sich in das Jahr 2032 zu versetzen. Wie wurde es rückblickend ermöglicht, dass der Klimahafen Gelsenkirchen 2032 mit grünem Wasserstoff versorgt ist und die Unternehmen am Standort klimaneutral produzieren? Wie müssen Förderprogramme auf Bundes- und Landesebene ausgestaltet sein, um dieses Ziel zu erreichen?
Dieses Szenario diskutierten Michael Theben, Abteilungsleiter im Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen und Dr. Axel Bree, Referatsleiter im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz mit Industrievertretern. Theben erläuterte, dass die Landesebene in Abstimmung mit der Bundesebene bis 2032 Förderlücken schließen könne. Bree betonte, dass die Märkte sich bis zum Zeitpunkt des Szenarios so weit entwickelt haben werden, dass nur noch wenig Förderung benötigt wird. Bis dahin sei der European Hydrogen Backbone installiert, gebe es Transport- und Produktionskapazitäten durch den erfolgten Infrastrukturausbau, einen langfristig niedrigeren Preis für Wasserstoff und Aufträge entlang der Wertschöpfungskette für den Mittelstand.
Auf Abnehmerseite führte Lars Baumgürtel, Geschäftsführer der ZINQ-Gruppe und Sprecher des Klimahafens Gelsenkirchen, aus, welchen Beitrag der Mittelstand zum Gelingen der Energiewende leisten kann. 2032 würden alle Unternehmen im Klimahafen mit Wasserstoff produzieren, grüner Wasserstoff werde günstiger als Erdgas sein und Unternehmen wie ZINQ könnten durch die Abnahme von Überschussstrom aus erneuerbaren Energien über Power-to-Heat einen wesentlichen Beitrag für das gesamte Energiesystem leisten. Der Klimahafen Gelsenkirchen biete schon jetzt Lösungsansätze für den Einsatz von Wasserstoff in der industriellen Prozesswärme und damit eine Blaupause für andere KMU in Deutschland, denn die Energiewende im industriellen Mittelstand sei auch ein zukünftiger Wachstumstreiber für den Industriestandort Deutschland.
Auf Erzeuger- und Transportseite skizzierten Tim Cholibois, Strategiechef beim Elektrolyseur-Hersteller Enapter AG, und Dr. Philipp Wasmuth, Projektleiter beim Fernleitungsnetzbetreiber Open Grid Europe GmbH, wie ihre Unternehmen dazu beitragen, mittelständische Unternehmen zeitnah mit Wasserstoff zu versorgen. Die zukünftige Wasserstoffwirtschaft werde sowohl durch Importe aus aller Welt als auch durch große und lokale Hubs sowie Produktion vor Ort geprägt sein.
Die zentralen Erkenntnisse der Podiumsdiskussion sind:
- Um die Geschwindigkeit beim Infrastrukturausbau zu erhöhen, lohnt sich ein Blick ins europäische Ausland. Belgien schließt bereits Verträge mit Unternehmen für den Anschluss an das Wasserstoffnetz im Jahr 2027. Der dortige Fernleitungsnetzbetreiber ist nicht nur für das Netz, sondern auch für das Matching zwischen Angebot und Nachfrage zuständig – eine Praxis, die auch den Markthochlauf in Deutschland beschleunigen kann.
- Der politische Rückenwind für das Wasserstoffkernnetz ist wichtig. Für eine integrierte Netzplanung müssen Fernleitungsnetz- und Verteilnetzbetreiber eng zusammenarbeiten.
- Die Fokussierung auf einzelne große Leuchtturmprojekte ist nicht immer zielführend. Cluster und andere Zusammenschlüsse können die Nachfrage bündeln und damit Wasserstoffbedarfe in einer Größenordnung abbilden, die selbst über die von einzelnen Großunternehmen hinausgehen. Daher müssen sich auch Cluster und Unternehmenszusammenschlüsse auf Fördermittel bewerben können.
- Förderprogramme müssen so ausgestaltet sein, dass sie auch Unternehmen unterstützen, die bereits erste Schritte zur Transformation unternommen haben. Unternehmen werden derzeit in einigen Fällen benachteiligt, wenn sie bereits von Kohle auf Gas umgestellt haben.
- Der Preis von Wasserstoff sorgt für große Unsicherheit bei potenziellen Abnehmern. Ein festgesetzter und von der Bundesregierung subventionierter Preis für Wasserstoff würde die Planungssicherheit bei abnehmenden Unternehmen erhöhen und Tempo in den Markthochlauf bringen.
- Mittelständische Unternehmen bieten bereits jetzt Lösungsansätze, um in der Prozesswärme flexibel Strom oder Wasserstoff einzusetzen, etwa durch monodirektionale Wärmebatterien. Diese können Abregelungen verhindern und Strom in Schwachlastzeiten nutzen. Vielseitigkeit in Produktion und Technologie ermöglicht Effizienz.

Ergebnisse der Publikumsabfrage
Blick über den Tellerrand: Wasserstoffinitiativen für den Mittelstand
Wasserstoffinitiativen gibt es nicht nur am Klimahafen Gelsenkirchen, sondern deutschlandweit. Zwei gute Beispiele stellten Vivien Dirksen vom Wasserstoffnetzwerk Nordostniedersachsen H2.N.O.N. und Fabian Müller-Lutz vom Hydrogen Hub Aachen vor. In einem Bühnengespräch, das Janine Hansen von der Service- und Beratungsstelle für regionale Industrieinitiativen moderierte, zeigten beide auf, wie ihre Regionen von der Transformation betroffen sind und wie ihre Netzwerke Teil der Lösung beim Markthochlauf von Wasserstoff sein können. An beiden Netzwerken ist die jeweilige IHK maßgeblich beteiligt. Dirksen betonte die Rolle der IHK Stade für den Elbe-Weser Raum bei der horizontalen und vertikalen Vernetzung: Ihre Stärke sei es, die Stakeholder zum Thema Wasserstoff zusammenzubringen und den Interessen der KMU als Bindeglied zur Politik Gehör zu verschaffen. Müller-Lutz von der IHK Aachen fügte hinzu, dass regionale Industrieinitiativen das regionale Know-how zusammenführen und auch die kleineren Bedürfnisse der Abnehmerseite aufgreifen können.

Bühneninterview mit zwei regionalen Industrieinitiativen © DIHK Service GmbH/Christian Fliegner
Ziel der Veranstaltung war es, den Dialog zwischen regionaler mittelständischer Industrie und industriepolitischen Akteuren zu intensivieren. Dies leistete die Veranstaltung durch die Auswahl der Impulse und der Teilnehmenden, die eine Vernetzung sowohl auf regionaler Ebene als auch überregional ermöglichte. Die rege Beteiligung an der ausgebuchten Veranstaltung zeigte, dass das Konzept aufging. Sie bot ein Forum, in dem der energieintensive Mittelstand seine Bedarfe und Forderungen an die Bundes- und Landespolitik übermitteln konnte. Gleichzeitig ermöglichte das Format, den Beitrag von mittelständischen energieintensiven Industrieunternehmen für die Zukunft der Industrie zu verdeutlichen. Der Kreis der interessierten Teilnehmenden umfasste daher einen großen Anteil an Vertreterinnen und Vertretern von Unternehmen, aber auch eine deutliche Präsenz der Kommunalpolitik, für die der Klimahafen Gelsenkirchen ein wichtiger Standort ist. Die bestehenden Hürden für Unternehmen und Initiativen, die auf Wasserstoff als Energieträger setzen wollen, kamen klar zum Ausdruck, ebenso die Zukunftschancen, die sich im Szenario 2032 ergeben können. Die in der Service- und Beratungsstelle gebündelten regionalen Industrieinitiativen setzen gemeinsam mit Unternehmen deutschlandweit bereits praxisnahe Lösungen für die Transformation um und stärken so die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie in Deutschland.