Energieversorgungssicherheit in Deutschland
Es ist ein viel diskutiertes Thema, sowohl vor dem aktuellen Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine als auch für das langfristige Vorhaben der Energiewende in Deutschland: eine sichere Energieversorgung, gerade im Hinblick auf den deutschen Ausstieg aus der Kohleverstromung und der Kernenergie. Doch wie kann die Versorgungssicherheit sowohl akut als auch dauerhaft garantiert werden?
Die Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag von 2021 ambitionierte Ziele für den Klimaschutz gesteckt. Obwohl der Ausbau Erneuerbarer Energien und der Ausstieg aus der Kohleverstromung beschleunigt werden sollen, kann in der Übergangzeit nicht auf Erdgas verzichtet werden, um damit die nationale Energieversorgung sicherzustellen. Die Struktur des Energieverbrauchs (Energiemix) der Bundesrepublik Deutschland besteht trotz der eingeleiteten Energiewende weiterhin zu großen Teilen aus fossilen Energieträgern. Die Bundesrepublik ist zur Deckung des Energiebedarfs auf den Import von Primärenergieträgern angewiesen. Erdgas macht aktuell 26,5 % des Primärenergieverbrauchs in Deutschland aus (Stand 2020).[1] Hauptimporteur ist – vor Norwegen und den Niederlanden – Russland. Von dort kommen 55 % (Stand 2020)[2] der Importe. Bereits 2014 wurde auf EU-Ebene ein Stresstest zur Gasversorgungssicherheit in den Mitgliedsstaaten durchgeführt. Zu diesem Zeitpunkt galt Deutschland aufgrund hoher Speicherkapazitäten und einer diversifizierten Importinfrastruktur für kurze Lieferunterbrechungen als gut vorbereitet. Eine sehr lang andauernde Unterbrechung (ab sechs Monaten Dauer) aller russischen Gaslieferungen würde hingegen auch in Deutschland ab einem bestimmten Zeitpunkt zu einer Einschränkung der Gasversorgung führen, insbesondere dann, wenn die Unterbrechung in die winterliche Heizperiode fällt.[3]
Versorgungssicherheit per Gesetz?
Die aktuelle Fassung des Gesetzes über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz, EnWG) trat am 1. Januar 2013 in Kraft. Nach dem EnWG sind die Energieversorgungsunternehmen unter anderem verpflichtet, eine sichere leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit zu gewährleisten. Auf dieser Basis haben die Betreiber von Fernleitungs- und Gasverteilernetzen die Aufgabe, Gefährdungen oder Störungen durch netz- und marktbezogene Maßnahmen zu beseitigen. Die von den Gasversorgungsunternehmen direkt belieferten Haushaltskunden und Fernwärmeanlagen werden dabei als besonders schützenswert herausgestellt. Für sie gelten daher besondere Versorgungsstandards. Für den Fall eines extremen Versorgungsnotfalls sind ergänzend zu den marktbasierten Maßnahmen hoheitliche Eingriffsrechte möglich. Nach dem Energiesicherungsgesetz können Vorschriften über Produktion, Transport, Lagerung, Verteilung und Abgabe, sowie zu Höchstpreisen von Energieträgern erlassen werden. Dazu zählen auch Vorschriften über die Herstellung, die Abgabe und die Verwendung von Produktionsmitteln der gewerblichen Wirtschaft, soweit diese Produktionsmittel der Versorgung mit elektrischer Energie und Erdgas dienen. Ebenso gilt dies für Werkleistungen von Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft zur Instandhaltung, Instandsetzung, Herstellung und Veränderung von Bauwerken und technischen Anlagen, die der Versorgung mit elektrischer Energie und Erdgas dienen.[4] Im Frühjahr 2022 plant die Bundesregierung die Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes. Durch die Novelle wird die Befüllung von Gasspeichern neu geregelt. Dies bedeutet, dass definierte Mindestfüllmengen der Gasspeicher in Deutschland zu verschiedenen Terminen wie folgt realisiert sein müssen:
- zum 1. August eines Jahres: 65 %
- zum 1. Oktober: 80 %
- zum 1. Dezember: 90 %
- zum 1. Februar: 40 %
Werden die geforderten Mindestmengen zu den jeweiligen Stichtagen nicht erreicht, greifen Anreiz- und Aktionsverfahren. Ein Inkrafttreten der Novelle ist für den 1. Mai 2022 geplant.[5] Hierdurch soll mittelfristig eine strategische nationale Gasreserve aufgebaut werden.
Monitoring
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz führt gemäß dem EnWG ein fortlaufendes Monitoring der Versorgungssicherheit im Bereich der leitungsgebundenen Versorgung mit Elektrizität durch. Dieses Monitoring sieht auch eine Berichtspflicht im Zweijahresrhythmus vor. Ziel der Berichte ist es, die Versorgungssicherheit zu bewerten und die Entwicklung perspektivisch zu untersuchen.
Einen Bericht zum Stand und zur Entwicklung der Versorgungssicherheit im Bereich der Versorgung mit Erdgas (2020) finden Sie hier: Bericht zum Stand und zur Entwicklung der Versorgungssicherheit im Bereich der Versorgung mit Erdgas (bmwi.de). Eine aktuelle Zusammenfassung zum Notfallplan Gas und dazu, wie Versorgungsengpässe auf seiner Grundlage koordiniert werden, enthält dieser Link.
Verschiedene Aspekte der Versorgungssicherheit
Die Versorgungssicherheit beinhaltet unterschiedliche Aspekte, die alle eine entscheidende Rolle spielen:
Aspekt 1: Versorgungssicherheit in der Stromerzeugung
Versorgungssicherheit in der Stromerzeugung bedeutet, dass immer so viel Strom erzeugt wird, wie die Verbraucher nachfragen.
Aspekt 2: Versorgungssicherheit im Stromnetz
Entscheidend für die Versorgungssicherheit ist auch ein leistungsfähiges Stromnetz. Darin liegen mitunter auch die größten Herausforderungen für die Energiewende. Aktuell hat Deutschland ein sehr zuverlässiges Stromnetz.
Das soll auch mit der Transformation der Stromversorgung auf erneuerbare Energien so bleiben. Deshalb muss das Stromnetz mit neuen Technologien optimiert und ausgebaut werden. Zukünftig wird immer mehr Windstrom aus dem Norden zu Verbrauchern im Süden der Bundesrepublik transportiert. Mit dem Netzentwicklungsplan werden die dafür notwendigen Maßnahmen mit einem Vorlauf von fünf bis fünfzehn Jahren geplant.[6]
Zudem durchdenken die Netzbetreiber im Rahmen von Systemanalysen besonders anspruchsvolle Netzsituationen und bereiten sich auf diese vor. Engpässe können sie zum Beispiel beheben, indem sie die Stromerzeugung im Norden drosseln und im Süden – hinter einem temporären Netzengpass – erhöhen. Hierfür darf der Netzbetreiber bei Bedarf auf jede erneuerbare Energieanlage und jedes Kraftwerk zugreifen. Zusätzlich können die Netzbetreiber auch auf Kraftwerke im Rahmen der Sicherheitsreserve zurückgreifen, um die Netzsicherheit zu gewährleisten (sogenannte Netzreservekraftwerke).
Aspekt 3: Versorgung mit Brennstoffen
Ohne ausreichend Brennstoff kann das beste Kraftwerk nicht arbeiten. Deshalb ist die Versorgung der Kraftwerke mit Brennstoffen ein weiterer entscheidender Aspekt. Die Brennstoffversorgung wird primär durch langfristige Lieferverträge und eine Diversifikation der Lieferanten sichergestellt. Je mehr Lieferländer und Transportrouten zur Verfügung stehen, desto besser ist die Versorgung abgesichert und desto mehr Wettbewerb entsteht. Das wirkt auch preissenkend. Für Gas können durch den Transport auf dem Seeweg neue Lieferanten und Transportrouten erschlossen werden.[7]