Den letzten Schritt gehen: Klimaneutralität mit CCS und CCU erreichen?
Die Fakten
- Geplante jährliche Speicherkapazität in der EU bis 2030: 50 Millionen Tonnen CO2
- Aktuelle CCU-Projekte in Deutschland oder mit deutscher Beteiligung: 8 Projekte[1]
Als eine der insgesamt acht strategischen Netto-Null-Technologien des EU Net Zero Industry Act beschäftigt sich dieser Transformationscheck mit Carbon Capture and Storage (CCS) und Carbon Capture and Utilization (CCU). Die Transformationschecks sind eine Reihe zur Vorbereitung des Industrieforums 2023 Auf dem Weg zu Net Zero: Technologien für die Transformation am 5. September in Berlin. Erfahren Sie hier mehr zum Industrieforum 2023.
Die Europäische Union hat sich verpflichtet, bis 2050 klimaneutral zu werden. Die Bundesregierung will dieses Ziel bereits bis 2045 erreichen. Dazu gibt es drei Wege. Erstens die Vermeidung von CO2, zweitens der vermehrte Einsatz von klimaneutralen Energieträgern und drittens die Entnahme von bereits emittiertem Kohlendioxid aus der Atmosphäre.[2]
In einigen Industrieprozessen entstehen unvermeidbare CO2-Emissionen. Das gilt insbesondere für die Zement- und die Kalkindustrie. Bei der Produktion von Kalk entstehen beispielsweise prozessbedingte CO2-Emissionen, die sich nicht vermeiden lassen. Insgesamt machen diese zwei Drittel der Gesamtemissionen der Kalkindustrie aus.[3] Diese Emissionen können auch nicht durch den Einsatz von grünem Strom oder Wasserstoff vermieden werden. Eine Lösung wäre das Abscheiden des Kohlendioxids. Das abgeschiedene CO2 kann später entweder wiederverwendet (CCU) oder gespeichert und deponiert werden (CCS).
Die rechtliche Situation in Deutschland
Das Bundesimmissionsschutzgesetz regelt in Deutschland die Genehmigungsverfahren von Abscheidungsanlagen, jedoch nur für Anlagen zur geologischen Speicherung und nicht zur weiteren Nutzung von CO2. Bei Transport und Speicherung kommt das Kohlendioxid-Speicherungsgesetz (KSpG) ins Spiel, das die Richtlinie der Europäischen Union über die geologische Speicherung von Kohlendioxid umsetzt. Das KSpG erlaubte bis 2016 lediglich Projekte zur Erforschung, Erprobung und Demonstration in geringem Ausmaß. Darin war die absolute Speicherkapazität für Deutschland auf 4 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr begrenzt. Das Gesetz beinhaltete ein Länderklausel, die es den Bundesländern ermöglichte, die Speicherung von CO2 zu verbieten. Von dieser Klausel machten Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein Gebrauch. Derzeit ist es in Deutschland also nicht möglich, neue Speicher für CO2 zu genehmigen.[4]
2022 hat die Bundesregierung eine Evaluierung des KSpG vorgestellt. Danach ist das Ziel der Treibhausgasneutralität nur mit dem Einsatz von CCU und CCS möglich. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz arbeitet derzeit an einer Carbon-Management-Strategie, die Einsatzfelder für die Technologie sowie regulatorische Rahmenbedingungen in Deutschland definieren soll.[5] In Nordrhein-Westfalen existiert eine solche Strategie bereits seit Oktober 2021.[6]
CCS und CCU: Die Argumente dafür und dagegen
Anfang der 2010er Jahre diskutierten Politik, Wirtschaft und Gesellschaft kontrovers über den Einsatz von CCS und CCU – nachfolgend einige Argumente aus dieser Debatte.
Pro CCS und CCU:
- CO2-Reduktion: CCU/CCS bieten eine Möglichkeit, CO2-Emissionen zu reduzieren und somit den Klimawandel einzudämmen, indem CO2 aus Industrieprozessen oder Kraftwerken abgeschieden wird.
- Nutzung von CO2: CCU ermöglicht die Wiederverwendung von abgeschiedenem CO2, anstatt es einfach zu speichern. Das CO2 kann in verschiedenen Industrieprozessen als Rohstoff verwendet werden, z. B. in der Herstellung von Kraftstoffen, Chemikalien oder Baumaterialien. Dadurch kann ein Beitrag zur Ressourceneffizienz und zur Schaffung neuer Wirtschaftszweige geleistet werden.
- Flexibilität: CCU/CCS bieten Flexibilität bei der Bekämpfung des Klimawandels, da sie auf verschiedene Industriezweige anwendbar sind. Dies ermöglicht die Reduzierung von CO2-Emissionen in Sektoren, die schwer direkt dekarbonisierbar sind, wie beispielsweise die Stahl- oder Zementproduktion.
Kontra CCS und CCU:
- Hohe Kosten: Die Implementierung von CCU/CCS ist mit erheblichen Kosten verbunden und zum jetzigen Zeitpunkt nicht wirtschaftlich. Die Kosten könnten für Wirtschaft und Gesellschaft eine große finanzielle Belastung darstellen.
- Begrenzte Skalierbarkeit: CCU/CCS sind derzeit noch nicht in großem Maßstab umsetzbar. Dies erfordert weitere Forschung und Entwicklung.
- Sicherheit und Langzeitfolgen: Die Speicherung von CO2 in unterirdischen Lagerstätten birgt potenzielle Risiken, wie z. B. Leckagen oder unerwünschte Auswirkungen auf das Grundwasser.
- CCU und CCS als Verzögerer der Dekarbonisierung: Die Technologien könnten ein Anreiz in die falsche Richtung sein und den Druck verringern, Produktionsprozesse auf saubere Energiequellen umzustellen.[7]
Wo CCS und CCU bereits zum Einsatz kommen
In Europa gibt es bereits Anlagen, die die Technologie anwenden und CO2 speichern. Die größten Anlagen stehen in Norwegen: Seit 1996 speichert Norwegen Kohlendioxid auf dem Gebiet des Sleipner Gasfeldes, pro Jahr ca. 0,85 Millionen Tonnen. Insgesamt sind über 20 Millionen Tonnen CO2 vor der Küste Norwegens gespeichert. Ebenfalls in Norwegen befindet sich die Anlage Snohvit. Eine Pipeline transportiert das abgeschiedene CO2 vor die Küste. Seit 2008 wurden so bereits 7 Millionen Tonnen CO2 gespeichert.[8] Weitere Projekte, unter anderem in den Niederlanden und in Großbritannien, in unterschiedlichen Stadien befinden sich in der Entwicklung.
Der einzige Pilotstandort in Deutschland befand sich bis 2017 im brandenburgischen Ketzin. Dort koordinierte das Deutsche GeoForschungsZentrum in Potsdam einige Projekte zur CO2-Speicherung. Zwischen 2008 und 2013 speicherte man rund 67.000 Tonnen CO2 in einer Tiefe zwischen 630 und 650 Metern.[9] 2017 bildete das Projekt COMPLETE den Abschluss der Forschungsarbeiten in Ketzin. COMPLETE legte den Fokus auf die Phase nach der Kohlendioxid Injektion und lieferte so unter anderem Ergebnisse zur Stilllegung eines CO2-Speichers.[10]
Ausblick: Welche Rolle können CCS und CCU spielen?
Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe schätzt das Potenzial zur Speicherung von Kohlendioxid in Deutschland in erschöpften Erdgasfeldern auf 2,75 Milliarden Tonnen und in erschöpften Erdölfeldern auf 130 Millionen Tonnen CO2.[11] Gleichwohl liegt das größte Speicherpotenzial unter der Nordsee.
Der Net Zero Industry Act sieht als Ziel der EU vor, bis 2030 eine jährliche CO2-Speicherkapazität von 50 Millionen Tonnen zu erreichen, und verpflichtet die europäischen Öl- und Gasproduzenten, zu diesem Ziel beizutragen.[12] Neben Deutschland arbeitet auch die EU aktuell an einer Strategie für das CO2-Management in der Industrie. Die Strategie soll festlegen, welche Rolle die Technologien in der EU jeweils bis 2030, 2040 und 2050 spielen können und welche Maßnahmen zur deren Förderung notwendig sind. Mit einer Annahme durch die Kommission wird bis Ende 2023 gerechnet.[13]
Welche Rolle CCS und CCU ab wann mittel- und langfristig bei der Erreichung der Klimaziele tatsächlich spielen können, hängt nicht nur von der Abscheide- und Speicherkapazität, sondern auch von einer geeigneten Transportinfrastruktur ab.[14]