#IndustrieGefragt mit Stephan Rath und Wolfgang Jung vom Klimahafen Gelsenkirchen
„In NRW und bundesweit gibt es viele räumliche Cluster, die derzeit vereinzelt um bessere Rahmenbedingungen kämpfen. Hier sehen wir großes Potenzial für die Gründung von Industrieinitiativen, die ihre Anliegen über gemeinsame Kanäle nach außen tragen.“
Stephan Rath und Wolfgang Jung sind Ansprechpartner für die Initiative „Klimahafen Gelsenkirchen“, ein Netzwerk von Unternehmen aus dem Stadthafen Gelsenkirchen und der Umgebung sowie weiteren Institutionen der Stadt. Der Klimahafen unterstützt die Unternehmen vor Ort auf ihrem Weg zur Klimaneutralität und sieht sich als Reallabor und Blaupause für den klimagerechten Umbau von Gewerbegebieten.
Welche Vorteile bringt der Zusammenschluss von Unternehmen im Klimahafen Gelsenkirchen?
Wolfgang Jung: Die wesentlichen Vorteile des Netzwerks liegen darin, dass Unternehmen zusammenfinden, die ein gemeinsames Ziel – die Klimaneutralität – verfolgen, aber unterschiedliche Zugänge und Ausgangspunkte haben. Im Rahmen der Initiative können sie im Austausch voneinander lernen, ihre Ressourcen bündeln und ihr Know-how teilen. Hierbei hilft die räumliche Nähe in einem Gewerbegebiet, aber auch geteilte Interessen wie ein gemeinsames Carbon Footprint-Managementsystem oder eine nachhaltige Energiebeschaffung. So haben beispielsweise einige Mitgliedsunternehmen eine der ersten Bottom-Up Studien zum Thema „Dekarbonisierung der Prozesswärme“ entwickelt und veröffentlicht, die ohne die Initiative so nicht zustande gekommen wäre.
Stephan Rath: Zusätzlich gibt es auch „weiche“ Vorteile des Netzwerks. Die Unternehmen im Verbund erfahren von der Politik auf regionaler und Bundesebene ein anderes Maß an Aufmerksamkeit als einzelne mittelständische Unternehmen. Ihre Interessen erhalten eine höhere Gewichtung und gleichzeitig wird das Netzwerk frühzeitig über neue industriepolitische Entwicklungen informiert und eingebunden.
Sie setzen stark auf Wasserstoff als zukünftigen Energieträger. Was ist der nächste Schritt des Klimahafens, um der Wasserstoffwirtschaft Antrieb zu verleihen?
Stephan Rath: Konkret geht es um die Genehmigung und den Bau des ersten Elektrolyseurs am Standort, der zunächst den Mobilitätssektor mit Wasserstoff versorgen soll. Hierfür ist auch eine Wasserstofftankstelle geplant. Mittelfristig soll die Nutzung von Wasserstoff für Prozesswärme und die chemische Industrie vor Ort skaliert werden. Parallel dazu ist eine Anbindung an die regionale Infrastruktur erforderlich, insbesondere der Anschluss an das geplante H2-Kernnetz. Wir stehen in Kontakt mit regionalen Netzbetreibern, um frühzeitig Gespräche für die Anschlussplanung des zweiten Ausbaunetzes des H2-Kernnetzes aufzunehmen, in dem der Gasnetzentwicklungsplan mit Wasserstoff kombiniert wird.
Wolfgang Jung: Auf Bundesebene ist ein weiterer Schwerpunkt des Klimahafens die Förderung der OPEX-Kosten, d. h. der laufenden Betriebskosten für Roh- und Betriebsstoffe, Personal, Energie, Vertrieb und Verwaltung. Hier setzt sich der Klimahafen für bessere Bedingungen insbesondere für KMU in Form der Förderung von Clustern bei Klimaschutzverträgen und Differenzverträgen ein. Der regionale Clustergedanke ist inzwischen in die Formulierung der Klimaschutzverträge aufgenommen, wurde aber noch nicht operationalisiert. Da sind wir weiter dran.
Inwieweit dient der Klimahafen als Reallabor?
Stephan Rath: Strukturell betrachtet ist der Klimahafen eine modellhafte Initiative, weil er einen Branchenmix mit unterschiedlichen Stufen der Wertschöpfungskette abbildet, wie das deutschlandweit in traditionellen Gewerbegebieten häufig der Fall ist. Die Unternehmen haben die gleichen Ziele hinsichtlich der Klimaneutralität, aber im Detail nicht immer die gleichen Interessen, zum Beispiel im Bereich Wasserstoff. Der Klimahafen schafft es, die Einzelinteressen erfolgreich unter einen Hut zu bringen, sodass alle Interessen und Bedürfnisse bezüglich der industriellen Transformation bedient werden, jedoch niemand zu irgendetwas verpflichtet wird.
Wolfgang Jung: Auch organisatorisch ist der Klimahafen ein Vorbild für andere Initiativen, da er nicht traditionell formalisiert ist. Als „formlose“ Initiative waren die Hürden für die Initiierung des Klimahafens niedrig, es wurde lediglich eine gemeinsame Vision als Geschäftsgrundlage entwickelt. Die Mitgliedsunternehmen kommunizieren über einen gemeinsamen Verteiler über aktuelle Herausforderungen und können sich auf einer Website präsentieren, gehen aber keine Kosten oder Verpflichtungen ein, sondern arbeiten projektbezogen enger zusammen. Auf diese Weise können Entscheidungen schnell getroffen und öffentlichkeitswirksam kommuniziert werden. Der Klimahafen ist damit ein Modell für divers strukturierte Cluster.
Stephan Rath: Mit Blick auf den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft ist der Klimahafen zudem eine Blaupause für zwei unterrepräsentierte Aspekte: das Potenzial der industriellen Prozesswärme und von mittelständischen Clustern. In NRW und bundesweit gibt es viele ähnliche räumliche Cluster, die derzeit vereinzelt um bessere Rahmenbedingungen kämpfen. Hier sehen wir ein großes Potenzial für die Gründung von Industrieinitiativen, die ihre Anliegen über gemeinsame Kanäle nach außen tragen.
Kontakt:
Klimahafen Gelsenkirchen
Web: https://www.klimahafen-gelsenkirchen.de/
Wolfgang Jung
E-Mail: jung@wipage.de
Stephan Rath
E-Mail: rath@wipage-projekte.de